Neulich habe ich den Satz gehört: Perfektionismus ist ein fancy Wort für Angst. Stimmt, dachte ich mir. Kennst du auch solche Gedanken:

 

Ich würde mich gerne bei Agentur XY bewerben, meine Vita ist aber nicht cool genug, ich muss erstmal ein richtig krasses Projekt drehen, bevor ich mich bei so einer Agentur bewerben kann...“

 

Ich brauche dringend neue Schauspieler Portraits. Aber ich würde vorher gerne noch 2 Kilo abnehmen...“

 

Das ist jetzt der zwanzigste Take meiner E-Casting Szene, aber ich bin immer noch nicht hundertprozentig zufrieden...“

 

Perfektionismus hat viele Formen. Vom kleinen Kritiker im Ohr, der einen zweifeln lässt, bis hin zur ultimativen Ausrede, nicht ins Handeln zu kommen.

 

Was steckt denn hinter Perfektionismus? Wenn man etwas nicht tut oder nicht mit der Welt teilt, weil man es nicht perfekt findet, steckt wahrscheinlich Angst dahinter. Angst, nicht zu genügen. Angst nicht geliebt zu werden. Angst, ausgelacht zu werden. Ja, Perfektionismus ist ein Fancy Wort für Angst.

 

Und Angst ist ja meistens Irrational. Was uns der kleine Teufel da an Gemeinheiten ins Ohr flüstert, ist nicht die Wahrheit. Die ständigen Zweifel, ob wir gut genug sind, sollen uns schützen. Schützen vor Ablehnung, schützen vor Ausgrenzung.

 

Um dem Zweifeln entgegen zu wirken, könnten wir uns mal fragen: existiert Perfektion in der Kunst überhaupt? Werke wie z.B. die Stücke von Shakespeare sind vielleicht sehr nah dran, perfekt zu sein. Immerhin werden sie nach hunderten von Jahren noch immer gelesen, gespielt und gehören zum festen Kanon der westlichen Theatertradition. Aber nicht jeder kann damit etwas anfangen, nicht jeder mag „Hamlet“. Ist das Stück dann perfekt, wenn es nicht allen gefällt?

 

Oder du hast einen Film, ein Lied, ein Buch mal geliebt und perfekt gefunden, schaust dir die Sache voller Erwartung einige Jahre später wieder an und verstehst plötzlich gar nicht mehr, was dir daran gefallen hat? Vielleicht sollte man sich grundsätzlich von dem Gedanken verabschieden, dass Kunst perfekt sein kann. Kunst ist immer subjektiv und die Bewertung hat immer mit den Vorlieben des Publikums und auch viel mit dem Zeitpunkt der Betrachtung und den jeweiligen Umständen zu tun.

 

Noch ein Zitat: Done is better than perfect. Das hast du vielleicht auch schonmal gehört und es heißt übersetzt: Gemacht ist besser als gut. Es ist wichtiger, dass du überhaupt etwas tust, als dass es perfekt ist. Perfektionismus hält davon ab, ins Handeln, in die Umsetzung von etwas zu kommen. Denn irgendetwas kann man immer noch verbessern und wenn man es nicht irgendwann loslässt, endet der Verbesserungsprozess NIE. Done is better than perfect. Natürlich darf das nicht die Entschuldigung für schlampige Arbeit sein. Aber zwischen Faulheit und Perfektionismus existiert eine riesige Spannbreite. Also mach deine Arbeit. Schlaf eine Nacht drüber. Schau es wieder an und nimm Korrekturen vor, wenn dir Fehler auffalen. Und dann: Let it go!

 

Warum ziehen auf der Bühne Kinder und Tiere den Fokus? Weil sie sich unvorhersehbar verhalten. Weil sie Fehler machen. Ich erinnere mich nicht mehr, welches Stück es war, aber ich werde nie vergessen wie ein Hund auf der Bühne des Burgtheaters allen „Kollegen“ die Show gestohlen hat, weil er plötzlich anfing zu bellen (wo er scheinbar nicht bellen sollte). Der Hund bekam standing Ovations.

 

Oft sind die ungeplanten Momente doch am schönsten. Wenn du stolperst, plötzlich lachen musst, oder irgendetwas absolut unvorhergesehenes passiert, und du trotzdem in der Szene bleibst, den Impuls aufnimmst und damit spielst. Das sind die magischen Momente, die man sich nicht besser hätte ausdenken können. Die Momente, in denen hinter der Kamera alle den Atem anhalten. Ich glaube, das Unerwartete ist immer spannender als das Vorhersehbare.

 

Aber um solche Momente überhaupt zulassen zu können, muss man konstant an sich arbeiten. Sich an sich selbst und seine Kunst gewöhnen. Sich an „Fehler“ gewöhnen. Sich nicht ständig zensieren. Loslassen.

 

Mein Vorschlag: Üben, üben, üben. Und zwar nicht erst, wenn es drauf ankommt, du den Dreh oder das Casting hast, von dem du glaubst, dass deine ganze Karriere davon abhängt. Such die eine Trainingsgruppe. Schreib deinen 3 Lieblingskollegen und trefft euch einmal im Monat auf Zoom um kleine Übungsszenen zu spielen oder Stücke zu lesen. Lern einen Theatermonolog und nimm ihn zuhause mit dem Handy auf.

 

Leg dir vorher einen Zeitraum fest, z.B. 45 Minuten. Mach in der Zeit soviele Takes, wie du schaffst, versuche es so perfekt wie möglich zu machen. Wenn die Zeit um ist, hörst du auf. Klopf dir selbst auf die Schulter. Nicht für deine Leistung, sondern für deinen Mut und deine Disziplin. Du hast getan, was du konntest, an diesem Tag, mit den Fähigkeiten die du heute hast.

 

Bleib dran. Trainiere deinen kreativen Muskel. Setze deine Pläne und Ideen um. Jetzt ist der beste Moment. Done is better than Perfect! Und denk immer dran: Perfektionismus ist nur ein fancy Wort für Angst.